Künstliche Intelligenz zeigt uns individualisierten Brand Content.

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Bildquelle: shutterstock ©Peshkova

Wir laufen durch die weihnachtliche Innenstadt. Ein Schaufenster reiht sich an das Nächste, alle sehen gleich aus: Puppen, Kleider, Angebotsschilder, Preisrabatte rauschen an uns vorbei, wir nehmen sie kaum noch wahr. Doch dann sticht ein Schaufenster heraus, überrascht uns: denn dort blinzelt uns doch jemand zu! Auf einem digitalen Screen sehen wir eine Person, die mit uns interagiert. Sie animiert uns zum Anhalten, denn sie lächelt uns aufmunternd zu und hat erkannt wie genervt wir vom weihnachtlichen Shoppingmarathon sind. Kann es möglich sein, dass ein digitaler Screen anhand unserer Mimik unsere Emotionen erkennt und uns durch eine entsprechende Reaktion dazu anregt, mit ihm zu interagieren?

Es geht und zwar überall!

Dieser Herausforderung nahmen sich zwei Absolventen der TU München an und begannen, über interaktive und technologische Kreation nachzudenken. Matthias Freysoldt, Diplom-Wirtschaftsingenieur, entwickelte zusammen mit Artur Lohrer, Master-Absolvent in Robotics, Cognition & Intelligence, eine neuartige Technik, um Menschen gezielt und direkt auf der Straße ansprechen zu können und derzeitige Außenwerbung attraktiver zu gestalten. Es entstand das Start-up-Unternehmen Sensape. Im Zentrum ihrer neuen Technologie steht die Vision, digitale Interaktionen als neuen Standard für die Außenwerbung einzuführen. Mit Sensape wollen die Entwickler aus Leipzig deutsche Innenstädte und traditionelle Schaufenster mit Leben füllen. Ihr Ziel: Die Außenwerbung der Zukunft durch künstliche Intelligenz und einem neu entwickelten Algorithmus zu verändern.

Vom weihnachtlichen Trubel in der Innenstadt flüchten wir in einen Supermarkt. Hier nehmen wir uns eine Packung Milch aus dem Kühlregal. Als wir uns umdrehen, hören wir eine menschliche Stimme. Nein, kein Verkäufer. Sondern ein Mann auf einem Screen, der schon längst die Milch in unserer Hand erkannt hat. Sekunden später sehen wir das Produkt auf dem Screen. Der Mann erzählt uns, dass wir eine gute Wahl getroffen haben und vom welchen Bauernhof diese Milch kommt. Dann nennt er uns noch andere Produkte des Herstellers im Supermarkt und gibt uns eine Rezeptidee dazu. Verrückt oder?

Künstliche Intelligenz kommuniziert mit der Zielgruppe

So abwegig fanden Freysold und Lohrer den interagierenden Screen nicht. Aus den
Erfahrungen, welche die beiden in den Bereichen Robotik und maschinelles Lernen sammeln konnten, entwickelten sie eine 2D-Kameratechnik sowie einen Algorithmus. Bisherige Verfahren konzentrieren sich zur Interaktion im Einzelhandel auf 3D-Erkennung, dies ist jedoch nicht für dynamische Außenbereiche geeignet. Der 2D-Sensor erkennt, anders als ein 3D-Sensor, auch bei schwierigen oder sich ändernden Lichtverhältnissen Interaktionen und Produkte. Eine eigens entwickelte Software kann diese identifizieren und unterscheiden. Der Algorithmus basiert auf der Deep-Learning Methode (mehr dazu s. Infokasten), die beispielsweise auch bei Apples Siri eingesetzt wird. Demografische Merkmale wie Alter und Geschlecht werden von der Software gelernt. Freysold und sein Team schafften es sogar, dass menschliche Emotionen anhand von Gestik und Mimik erkannt werden und die Software dementsprechend reagiert. Der Lernprozess der Software funktioniert ähnlich wie unser menschliches Gehirn und erzeugt eine künstliche Intelligenz. Der Computer wird mit Daten versorgt und baut sich eine Art digitales Gehirn mit neuronalen Verbindungen und Verknüpfungen. So kann er immer weiter lernen, neue Informationen sicher erkennen und klassifizieren. Im Zusammenspiel der Lernsoftware mit selbst-entwickelten Hardwarekomponenten (Smart Cameras) wird eine anonymisierte Interaktion im Außenbereich möglich. Diese Technik hat viel Potenzial und bietet Unmengen an Möglichkeiten, die aber durch unsere Datenschutzrichtlinien stark eingegrenzt werden. Matthias Freysoldt betont, dass alle gesammelten Daten unter den Regeln des deutschen Datenschutzes inhouse bleiben und eine Weitergabe an Dritte undenkbar ist.

Brands im Fokus

Werbungtreibende können mit der Technik  nun gezielt Brands in den Fokus rücken. Erklärungsbedürftige Produkte und deren Besonderheiten oder Preiskommunikation können hier aufmerksamkeitsstark vorgestellt werden. Sensape ermöglicht, dass sich Werbung und Content automatisch auf den Betrachter einstellen und individualisiert werden. Mit den Informationen wie Alter, Geschlecht und Emotion baut man einen deutlich direkteren Kontakt zum Kunden auf. Auf der Munich Creative Business Week präsentierte das Team einen virtuellen Shop Assistenten, ein Tool zur individuellen Ansprache. Sie stellten den Einsatz in einem Schuhladen vor. Erst wenn der Shop Assistent einen Kandidaten für sich erkennt, spricht er diesen direkt an und bietet eine umfassende Produktpräsentation an. Einem älteren Geschäftsmann schlägt er die entsprechenden Business Schuhe vor, die nun mit neuer Sohle einen besonderen Tragekomfort versprechen. Erkennt er eine Mutter mit ihrem Sohn, rückt er besonders robuste Schuhe, die sich für wildes Spielen im Freien eignen, in den Fokus. Zeigen wir im einen Schuh, der uns gefällt, liefert er uns relevanten Content aus.

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Auf einen Drink mit Daniel Craig

Der Einsatz der neuen Technologie bietet sich auch bei weiteren Touchpoints, wie Kino oder Wartehallen an, wo man für einen Überraschungseffekt sorgen kann. Verspätet sich mal wieder unsere Kinobegleitung, erkennt der Screen in Gestalt von Daniel Craig unseren leicht säuerlichen Gesichtsausdruck. „Setzen wir uns doch an die Kinobar und trinken ein Martini zusammen. Gerührt oder geschüttelt – sehe ich aus, als würde mich das interessieren?“ Während wir auf unseren Bus warten, interagiert die digitale Stele mit uns und bringt uns zum Lachen. Der Screen zeigt der weiblichen Passantin den neuesten Lippenstift, der die Schönheit unseres Lächelns stärker betont. Einem Mann wird ein schicker Wagen empfohlen, der das Grinsen noch breiter werden lässt.
Während des Shoppens erkennt die Software unseren erschöpften Gesichtsausdruck und schlägt uns einen Power-Riegel vor, den es in der nächsten Drogerie zu kaufen gibt oder zeigt das nächstgelegene Café an.

Gucken, staunen, lernen und weitergeben

Einzel-Passagesituationen werden von der Software genauso wahrgenommen wie die Passage in einer Gruppe, denn die Technik funktioniert in Echtzeit (30 fps) und kann auch in dieser Zeit reagieren. Unsere Aufmerksamkeit bekommt der Screen durch eine unerwartete Aktivität (eine zwinkernde Person auf dem Screen oder einen überraschenden Content). Hier ist das Zusammenspiel mit den Kreativen gefragt. Denn gerade in der Passagesituation ist eine enge Verzahnung von Technologie und Kreation wichtig, um eine funktionierende Applikation umzusetzen.
Eins ist klar: In dem Moment, indem wir uns mit einem Screen unterhalten, ihn anlächeln und ihm dann noch die Einkaufstüten zeigen, sorgen wir für erhöhte Aufmerksamkeit unseres Umfelds. Es entsteht ein spannendes Storytelling mit hoher viraler Potenz. Für Werbungstreibende mit der Zielsetzung intensive Kontaktqualitäten aufzubauen, ist dies das richtige Medium. Die Interaktion ist eine Frage der Umsetzung und des Ansprechens der Passanten, im Vordergrund steht hier eine gute ansprechende Kreation.Out-of-Home Media, Digital Out-of-Home Media, Künstliche Intelligenz

Was ist Deep Learning?

Deep Learning orientiert sich an
der Arbeitsweise des Gehirns, ein dicht verwobenes Netz aus einfachen Nervenzellen wird simuliert. Der Computer wird mit Daten versorgt, die ein neuronales „tiefes” Netz optimieren und es ermöglichen, neue Daten sicher zu erkennen und zu klassifizieren. Da die künstlichen neuronale Netze zu Ebenen angeordnet werden, steigt die Komplexität der Merkmale. Große Datenbestände lassen sich so in Kategorien einteilen. Die Deep Learning Methode hat ihren Anfang Mitte der 1970-Jahre begonnen. Die Programmierer und Forscher scheiterten an jenen Fähigkeiten, die damals kaum als Ausweis hoher Intelligenz galten. Das intuitive Erfassen eines Bildes, Laufen, Umgangssprache war der Software zunächst nicht beizubringen, sondern erwies sich für den Computer als sehr schwere Aufgabe.

Heutzutage ist es möglich, gesprochene Sprache zu verstehen und simultan zu übersetzen. Ebenso umsetzbar ist, dass die Software Witze und die Sprachspiele versteht, einen Wagen steuert oder beschreibt was auf einem Foto zu sehen ist.

Produkterkennung

Es gibt verschiedene Ansätze, Produkte zu erkennen. Am einfachsten funktioniert das über den Barcodescanner. Auch der Einsatz zusätzlicher Geräte (Beacons, NFC-Sender) ermöglicht, ein Produkt eindeutig zu identifizieren. Weiterhin werden für Spezialanwendungen “Feature-Matching” Ansätze angewendet. Diese sind jedoch sehr rechenaufwendig und fehleranfällig (z.B. bei sich ändernden Lichtverhältnissen). Sie funktionieren bei klar unterscheidbaren Produkten relativ gut (z.B. bei Legoverpackungen). Der Ansatz von Sensape macht es möglich, flexibel und automatisch Produkte, wie zum Beispiel Schuhe anzulernen. Hierbei wird eine Erkennungsrate von 95% erzielt. (jr und cf)
Quelle: areasolutions gmbh
Bildquellen: Sensape GmbH
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