Wenn Kampagnen vom „Pokémon-Effekt“ profitieren.
Wege außer Haus – das ist das Erste, was Markt-Media-Studien fragen, um zu ermitteln, wie viele Außenwerbe-Kontakte eine Person gesammelt hat. Müssen die Fragebögen jetzt erweitert werden? Wie oft waren Sie in den letzten Wochen persönlich außer Haus unterwegs, um Pokémons zu jagen? Man mag von den kleinen, putzigen Comicfiguren halten was man will – und von dem Spiel, das Millionen Deutsche innerhalb kürzester Zeit in seinen Bann zog. Für die Außenwerbebranche ist das soziologische Phänomen hochinteressant:
Millionen von Menschen spazieren häufiger und länger hochmotiviert im öffentlichen Raum herum, sammeln dabei neben Pokémons fleißig Plakatkontakte ein und bauen ganz nebenbei Berührungsängste mit Augmented Reality ab.
Gotta` Catch Them All
Ziel des Spiels ist es, 146 unterschiedliche Pokémon einzufangen, dabei gibt es Arten, die man nur in Australien findet. Voraussetzung für die Nutzung ist ein leistungsstarkes Smartphone (z.B. ab iPhone 5) mit großem Datenvolumen. Eine wichtige Eigenschaft des Games – um weiter zu kommen, muss man die App geöffnet haben und den Blick immer wieder auf das Smartphone richten, nur dort zeigen sich die Pokémons in der Nähe oder wichtige Ankerstationen wir Pokéstops oder Arenen, in denen man seine bereits gefangenen Monster gegen andere kämpfen lassen kann.
Das erklärt auch die rasante Absatzsteigerung von Powerbanks nach dem Launch, mit denen die üblichen Akku-Kapazitäten eines Smartphones erweitert werden können. Während man Pokémon GO spielt, kann folglich nichts anderes auf dem Handy stattfinden, man befürchtete daher Traffic-Einbußen im Social Web. Es gibt mittlerweile die Möglichkeit, sich ein elektronisches Armband zu kaufen, die bei Pokémons in der Nähe warnt – auch die neue Apple Watch wirbt mit diesem Feature.
146 Pokémon-Arten in 2 Wochen! Das hatte als allererster ein Deutscher erreicht. Allerdings räumte er ein, ein selbst programmiertes Tool genutzt zu haben, das dem Spiel vorgaukelte, er sei unterwegs, während er zu Hause am Rechner saß. Ohne solche Tricks müssen die Spieler selbst laufen, und zwar viel. Das Spiel motiviert zu Umwegen, um bestimmte Spots zu besuchen ebenso wie zum Herumstreifen, in der Hoffnung, neue Pokémons zu erwischen.
Neue Touchpoints mit Festivalcharakter
Angelehnt an die ursprüngliche Serie mit 151 Pokémons, stehen zum Sammeln in der App 146 der Tierrchen bereit. Die restlichen 5 Pokémon zeigen sich zwar selten einmal, können derzeit jedoch nicht eingefangen werden – es wird spekuliert, ob diese im Rahmen besonderer Events „losgelassen“ werden. Diese Events könnten interessante Touchpoints darstellen, denkbar wären Riesenposter und von Werbenden gesponserte Zusatz-Gimmics für die Gamer. Viel Kritik gab es dafür, dass auch an historisch belasteten Orten wie Auschwitz Pokémon GO gespielt werden kann. Besonders heikel: In einem Holocaust-Museum in Washington soll das Giftgas versprühende Pokémon Smogon gefunden worden sein. Ursache dafür ist der zugrunde liegende Algorithmus, der die Pokémons generiert.
Eine neue Dimension im öffentlichen Raum
Aber, wirkt sich das OOH-Game wirklich auf die Reichweite von Kampagnen aus? Jeder fünfte Deutsche hat das Spiel schon einmal selbst ausprobiert. 7,7 Millionen Deutsche haben die App installiert, das entspricht 11% der Gesamtbevölkerung. Die Nutzerzahlen sind seit der Hochphase erwartungsgemäß zwar wieder gesunken, aber immer noch ist das Spiel ein Meilenstein der jüngeren Spielegeschichte. Mitte Juli nutzten weltweit gut 45 Millionen das Spiel, Mitte August sind es rund 30 Millionen Menschen. Ein extrem populäres Spiel wird gerade zu einem nur noch sehr beliebten. Experten glauben, dass sich das Spiel mit stabilen Nutzerzahlen auf einem niedrigeren Niveau langfristig positionieren könnte. Wenn die Spieler der App verstärkt draußen unterwegs sind, wie sieht diese Zielgruppe aus? YouGov hat das Alter der Pokémon-Spieler erhoben. Auch wenn rund 40% der User zwischen 18-24 sind, ist das Game nicht auf jüngere Zielgruppen beschränkt. 35% der Gamer ist bereits über 35. Wie stark ist die Bekanntheit der Pokémon seit Kindheitstagen für den Erfolg des Games verantwortlich? Pokémon war die erste Anime-Serie im deutschen Fernsehen, sie startete 1999. Die Personen, die mit den Pokémons aufgewachsen sind, sind heute in Ihren Zwanzigern bis Mitte 30. Dass auch deutlich jüngere
Zielgruppen sich begeistern lassen, zeigt, wie stark die Marke Pokémon weltweit ist. In Kombination mit einer spannenden Innovation, deren technische Bedingungen bei einer Mehrzahl erfüllt waren, konnte sie erstaunliche Zugkraft entwickelte. Wenn OOH-Reichweiten von einen „Pokémon-Effekt“ profitieren, werden sich diese in der ma Plakat niederschlagen? Wenn ja, dann wäre dies durch die Erhebungsmethodik nur langfristig ersichtlich. Durch das rollierende System ist die Reichweitenstudie schlecht geeignet, um kurzfristige Veränderungen abzubilden. Wahrscheinlich ist das Phänomen nicht so leicht zu fassen. Vielmehr könnte der öffentliche Bereich insgesamt eine Aufwertung durch die neue Dimension erfahren, von der beinahe alle Deutschen schon einmal gehört haben (81% kennen das Spiel).
Es ist eine breitenwirksame, revolutionäre Verknüpfung unserer digitalen Welt und der realen Umwelt, die man, einmal ausprobiert, nicht mehr vergisst, auch wenn die Jagd nach Monstern vorbei ist.

Quelle: www.apptopia.com
Location-Based-Marketing mit Monstern
Digitales und ortsbezogenes Marketing miteinander zu verknüpfen, war schon vor Pokémon GO eine große Entwicklung. Das Spiel bietet interessante Möglichkeiten, die medienwirksam gespielt werden können. Besonders hochfrequentierte Punkte für die Spieler sind sogenannte Pokéstops, wo man Zubehör zum Spiel einsammeln kann. Bis dato war es nicht möglich, beim Spielentwickler Niantic einen Pokéstop just im eigenen Laden zu erwerben. Da die Pokéstops jedoch gut verteilt in der Umgebung liegen, ist nahezu überall einer in der Nähe. Dieses Prinzip machte sich Netto in einer Umsetzung mit der OMD Hamburg zu nutze. Die Spezialisten für Search und Social haben eine Kampagne via Facebook verbreitet, in welcher der Lebensmittelhändler ankündigte, dass sich während der Öffnungszeiten im Umkreis von 5 Netto-Filialen besonders viele Pokémons aufhalten würden. Dazu wurden sogenannte Lockmodule aktiviert, die auch jede Privatperson im Spiel für kleines Geld erwerben kann. Diese sorgen dafür, dass verstärkt Pokémons zu einem bestimmten Pokéstop wandern. Martin Brejnhold von der Activation Digital der OMD, bewarb die Kampagne auf Facebook und war nah dran am Feedback via Social Media: „Die Resonanz war durchweg sehr positiv und lässt darauf schließen, dass das Image von Netto in der Zielgruppe profitiert hat. Der Erfolg der Kampagne hat den Kunden veranlasst, die Aktion im nächsten Schritt auch in Berlin für 4 Filialen durchzuführen.“ Zahlen über generierten Traffic im Supermarkt oder erhöhten Abverkauf gebe es leider nicht, aber Ziel solcher Maßnahmen sei vorrangig, ein besonderes Markenerlebnis zu schaffen und sich modern und aufgeschlossen zu präsentieren. Die Umsetzung von Netto ist nur ein Beispiel – andere nutzen die Lockmodul-Systematik, um mehr Besucher in ihr Café zu locken, die Krankenkasse Barmer GEK stellte den Spielern in Köln und Hamburg in einem Event neben aktiven Lockmodulen Erfrischungsgetränke zur Verfügung, um die Bewegungsfreude der Spieler zu belohnen. Die Spezialisten für Content und Experience der Omnicom Media Group Germany Fuse hat weitere Anregungen für eine Nutzung des Games für Marketing-Maßnahmen. Zum Beispiel könnten Einzelhändler ab einem bestimmten Pokémon GO-Level Vergünstigungen anbieten. Oder man sponsore einen mit Kaltgetränken gefüllten Kühlschrank im öffentlichen Raum, der sich nur öffnet, wenn jemand davor das Pokémon-Lied singt.
Augmented Reality als Treiber der mobilen Revolution
Virtual und Augmented Reality: Digitale Inhalte über unsere reale Umgebung zu legen ist nicht nur im Rahmen eines Spiels spannend. Vieles scheint möglich, wenn Menschen zukünftig mit ihren Smartphones ganz selbstverständlich mit Augmented Reality und Virtual Reality umgehen. Wenn sie gelernt haben, dass hinter der sichtbaren Realität eine zweite Welt liegt – in der Interaktion mit Marken möglich ist und spannender Mehrwert auf sie wartet. Apple CEO Tim Cook hatte kürzlich in einem Interview erklärt, dass er Augmented Reality eine große Eignung für breite Zielgruppen zutraue. Während Virtual Reality von der Wirklichkeit abschotte um in eine komplett virtuelle Welt zu entführen erlaube es Augmented Reality den Menschen, präsent zu bleiben. Auch wenn Virtual Reality faszinierende Möglichkeiten biete, werden weniger Menschen an dieser totalen Abschottung interessiert sein, schließt Cook. Für die Außenwerbebranche ist Augmented Reality eine große Chance, nicht nur, weil direkte werbliche Ansprache auf dieser Ebene möglich wird.
Kontakte höchster Qualität während der „Quality Time“?
Kann das so funktionieren? Ich sage, es kann. Und da macht es auch keinen Unterschied mehr, ob die User ihre Augmented-Reality-Funktion auf dem Handy angeschaltet lassen und zur Jagd lieber nur die Map benutzen, um an die relevanten Punkte im Spiel zu gelangen. Die Kamerafunktion, die die Umgebung plus zusätzlicher Gimmicks darstellt, ist nicht notwendig. Augmented Reality findet im Kopf statt. Ich glaube, die nächste erfolgreiche App, die reale Koordinaten-Punkte in der Umgebung benutzt, wird bald geboren. Vielleicht in Form einer Dating-Plattform, vielleicht als eine Art kollektiver Schnitzeljagd. Kürzlich hat Apple sein Mobile Game „Super Mario Run“ vorgestellt, das im Hochformat auf dem neuen iPhone gespielt werden kann. Der Versuch, auf die Popularität von Pokémon GO aufzuspringen, könnte gelingen. Jedoch hat das Spiel keine Verortung im Raum, es führt die Spieler nirgendwo hin, es bringt sie nicht zusammen. Es kann nur spekuliert werden, warum Apple darauf verzichtet, ebenfalls mit der neuen Technologie zu punkten. Vielleicht reichte die Entwicklungszeit nicht aus, der Erfolg von Pokémon GO war ja erst im Juli ersichtlich geworden. Vielleicht verfügten die Apple-Entwickler auch nicht über die Erfahrung von Niantic, die mit Ingress schon 2012 ein geobasiertes Mobile-Spiel auf den Markt brachten.
Wenn Gaming anstatt im Wohnzimmer vor der Playstation mit VR-Brille draußen auf der Straße mit dem Smartphone möglich ist, dann profitiert die Außenwerbung vom Zusatz-Traffic bestimmter Zielgruppen. Und diese Kontakte werden dann nicht mehr während unumgänglicher zurückzulegender Wege stattfinden, sondern in einer Verfassung höchster Aufnahmebereitschaft, während der kostbaren Freizeit.
Spannende Ankerpunkte für das vernetzte Außenwerbekonzept
Unabhängig vom Gaming-Markt bietet Augmented Reality innovative Möglichkeiten für Marken. Im ersten Schritt wäre denkbar, dass Personen bei Interesse ihr Handy auf ein Plakat richten, um Rabattaktionen einzufangen und beim nächsten Einkaufsbummel direkt abzurufen. Und vielleicht werden wir in Zukunft gar keine Plakatstellen mehr haben, sondern die Menschen tragen ihre Augmented Reality-Brillen und sehen auf Ihrem Weg auf sie persönlich abgestimmte Werbung passend zur Verfassung und Bedürfnislage. Vielleicht ist diese Werbung dann gar kein Motiv oder Video mehr, sondern eine Art virtuelles Model als Chatbot, der Angebote im Dialog unterbreitet und auf Rückmeldungen direkt eingehen kann. Vielleicht sind diese Chatbot-Models virtuelle Assistenten von Testimonials, und Beyoncé spricht uns beim Trip durch die City direkt an und präsentiert ihre coolen neuen Tamaris-Boots. Vieles scheint denkbar in einer Zeit, in der das Smartphone mehr und mehr zu Erweiterungen unseres Selbst wird und in alle Bereiche des Lebens vordringt. Ich glaube, unser Alltag wird optimierter, vernetzter, einfacher, datenungeschützter sein. Vielleicht ist der weltweite Erfolg von Pokémon GO auch eine Resonanz auf unsichere Zeiten, die wenige Gewissheiten bieten. Ein kleinster gemeinsamer Nenner, der in einer Realität von Subkulturen und sozialer Zersplitterung ein verbindendes Element bereit hält. Oder, um es mit den Worten eines Spielers zu sagen: „Wir wollen einfach Spaß haben und ein bisschen Bewegung und glücklich sein. Nicht noch ein Drama.“
Johanna Hoffmann.